ORPHEUS 11/1995

Paata Burchuladze ist ein gefragter Sänger; bedingt durch kurzfristiges Einspringen des Künstlers mußte der schon fixierte Gesprächstermin gleich mehrmals verschoben werden. Und selbst als das Treffen endlich stattfand, gab es noch einmal eine Änderung: Aus der kühlen Büro-Atmosphäre einer Künstler-Vertretung verlegten wir unser Gespräch kurzerhand in seine noble Wohnung – ein grandioser Dachausbau dessen herrliche Räumlichkeiten der Hausherr mit berechtigtem Stolz präsentiert. Das Arbeitszimmer, mit Lauftrainer direkt gegenüber dem Klavier, hat dazu einen besonderen Anziehungspunkt: eine Sammlung von Taktstöcken großer Pultstars mit denen Paata Burchuladze zusammengearbeitet hat, darunter Namen wie Herbert von Karajan, James Levine, Zubin Mehta, Claudio Abbado und Riccardo Muti. Noch der Wohnungsführung wundert es nicht, wenn der Bassist bei Kaffee und Kuchen erzählt, daß der Sängerberuf gar nicht das erste Ziel seiner Ausbildung war.

“Ich wollte eigentlich Bauingenieur werden wie mein Vater. Das habe ich auch (im Polytechnikum meiner Heimatstadt Tbilissi studiert. Gleichzeitig ging ich aber auch ins Konservatorium. Meine Mutter hat mich sehr bestärkt, Sänger zu werden. Sechs Jahre habe ich in Georgien studiert, dann war ich ein Jahr in Moskau, danach drei Jahre in Mailand. Giulietto Simionoto und Edoordo Mueller waren dort meine Lehrer. In meinem dritten Studienjahr stand ich zum ersten Mal auf der Bühne als Mephistophele in Gounods ‘Faust’, in einer Produktion der Hochschule in Tbilissi. Dies war der Tag, als ich von einem Moment zum anderen Sänger wurde: Glauben Sie mir, wenn man das erste Mal Applaus erhält, dann will man niemals mehr die Bühne verlassen”.

Wenn man heute Paata Burchuladze in die Reihe der großen Bassisten neben Sänger wie Fjodor Scholjapin oder Boris Christoff einreiht, so ist das eigentlich ein Fehler.
1ch bin kein russischer Bassist, sondern ein georgischer; das ist ein großer Unterschied, Früher gehörte alles zur Sowjetunion, heute ist das anders. Ich bin stolz auf meine Nationalität, und jeder sollte dies in irgendeiner Form sein. Im Grunde gibt es keine schlechte Nation, nur gute oder schlechte Menschen. Das russische Opernrepertoire gehört natürlich zum Großartigsten, was je für Bassisten geschrieben wurde. Ich liebe diese Musik über alles, insbesondere die Opern von Mussorgski; neben Verdi ist das für mich das Größte.”

Schon während seiner Ausbildung trat Paata Burchuladze also solistisch am Opernhaus von Tbilissi auf, absolvierte seine erwähnten Studien in Moskau und Mailand in den Jahren 1977 bis 198 1 und ging aus dem Verdi-Wettbewerb von Busseto 1981 und aus dem Tschaikowsky-Wettbewerb 1982 als Sieger hervor. Im selben Jahr kam er zurück noch Tbilissi, wo Leporello in Mozarts “Den Giovanni” und Mussorgskis “Boris Godunow” seine ersten Partien waren, gefolgt von Basilio in Rossinis “Barbiere di Siviglia” König Rene und Gremin in den Tschaikowsky-Opern “Yolanthe” und “Eugen Onegin” und wieder Mephistophele im Rahmen eines georgischen Gastspiels am Moskauer Bolschoi- bester 1984 erregte Paata Burchuladze großes Aufsehen als Leporello und Boris Godunow. Schon zuvor war die internationale Opernwelt auf den jungen Sänger aufmerksom geworden.

“1983 hatte ich beim Lichfield Festival in England den Baß-Part in Elgars Oratorium ‘The Dream of Gerontius’ gesungen. Mein erster Agent hat mir damals ein Vorsingen an der Covent Garden Opera vermittelt. Dort wurde ich sofort für die nächstjährige Produktion von Aida engagiert. Das war international gesehen – mein erster großer Erfolg: Ramfis an der Seite von Luciano Pavarotti und Katia Ricciarelli unter der Leitung von Zubin Mehta. Die ganze Opernweit kam zu diesen Aufführungen. Es war ein Triumph. Damals begann meine eigentliche Karriere; von da an verlief alles wunderber.”

Was sich hinter diesen schlichten Worten verbirgt, ist eine außerordentliche Laufbahn, die Paata Burchuladze an die größten Opernbühnen, zu den wichtigsten Festivals und in die bedeutendsten Konzertsäle der Welt führte: zu Konzerten an der Academic di Santa Cecilia in Rom (Mussorgskis “Salammbo”), zu weiteren Auftritten noch Covent Garden (Verdis “Aida” Rossinis “Barbiere di Seviglia” Mussorgskis “Boris Godunow”, Borodins `Fürst Igor”), an die Opernhäuser von Hamburg und München, 1986 an die Mailänder Scala (Zaccaria in Verdis “Nabucco” unter Riccardo Muti, Pagano in “I Lombardi”, Conte di Walter in “Luisa Maler”, Bonquo in “Macbeth” Inquisitor in Prokofjews “Der feurige Engel”) und an die Wiener Staatsoper (“Boris Godunow”, Conte di Walter, Basilio in “Barbiere di Seviglia”) 1987 noch Genua, Philadelphia (“Boris Godunow”, “Mefistofele”) und zu den Salzburger Festspielen (Cornmendatore in Mozarts Don Giovanni” unter Herbert von Karajan), 1988 zu den Bregenzer Festspielen (Silva in Verdis “Ernani” ln diesem Jahr nahm er auch am Japan-Gastspiel der Mailänder Scala teil und sang in Wien Mussorgskis “Chowanschtschina” (unter Claudio Abbado). Diese Liste ließe sich beliebig lange fortsetzen – mit Auftritten an der New Yorker Met, in München, Lissabon, Boston, Stockholm, Paris, Bordeaux, Israel …

War es da für einen Sänger aus der ehemaligen Sowjetunion, wo Oper in wesentlich traditionellerer Form gepflegt wird als in unseren Breiten, nicht manchmal ein Schock zu erleben, wie hier Produktionen über die Bühne gehen?

“Als ich während meiner Studienzeit in Italien die Ljubimow-Produktion von ‘Boris Godunow’ und ‘Chowanschtschina erlebt habe, war dies wirklich ein Schock, so modern waren diese Versionen. Boris Godunow habe ich dann selbst in aller Welt, in Wien, New York, Paris, London, in der traditionellen Form gesungen, bis ich in München mit Johannes Schaaf zusammengearbeitet habe. Auch er wollte eine moderne Sichtweise und ich war natürlich zu Beginn absolut dagegen; dann habe ich aber immer mehr gemerkt, was diese moderne Version auszusagen im Stande ist. Es war dann so aufregend, daß ich heute den Boris lieber in solch einer Fassung singe. Aber ich bin absolut dagegen, so etwas am Moskauer Bolschoi-Theater zu machen. Dort sollte die traditionelle Version gespielt werden, genauso wie man an der Scala ‘Don Carlo’ ‘Aida’ oder ‘Nabucco’ traditionell aufführen sollte. Es muß einige Theater geben, die ihre Tradition bewahren und die großen Opern ihres Landes in der herkömmlichen Fassung spielen. Andere Häuser können auch Experimente wagen, aber alles muß natürlich einen Sinn haben. Musik und Text müssen zusammenpassen, jede Interpretationsidee muß durchdacht und sinnvoll sein; sonst ist das Ergebnis lächerlich. Ich würde mich entschieden wehren, so etwas mitzumachen; eine schlechte Produktion kann dem Sänger alles verderben.”

Die großen Baß-Partien der russischen Oper hat Paata Burchuladze genauso interpretiert wie die dramatischen Partien bei Verdi. Wo sieht er selbst die Schwerpunkte seines Faches, und wie wird es in Zukunft eine Erweiterung erfahren?

“Zu meinen besten Rollen zählen Filippo in ‘Don Carlo’, Zaccaria in ‘Nabucco’, Attila’ Boitos ‘Mefistofele’ und zwei, drei Opern des russischen Repertoires wie ‘Boris Godunow’ und ‘Chowanschtschina’. Nach diesen großen Rollen bei Verdi und Mussorgski habe ich jetzt auch Puccini gesungen. Diese Musik liebe ich sehr, wenn auch die Baß-Partien eher klein sind. Timur in ‘Turandot’ zum Beispiel ist ein wichtiger Part. In der Arena di Verona habe ich ihn gesungen, und auch beim Gastspiel der Arena in Japan. Colline in La Boheme habe ich zum ersten Mai im März in Frankfurt gemacht, wieder mit der Arena da Verona Davon ist auch eine CD erschienen. Und gerade jetzt beginne ich mit Partien des deutschen Faches: Meinen ersten Pizarro sang ich an meinem Geburtstag, dem 12. Februar in Barcelona in einer konzertanten Aufführung. Sarastro in der ‘Zauberflöte’, Osmin in der ‘Entführung aus dem Serail’ und Ochs im ‘Rosenkavalier’ habe ich mir für die Zukunft vorgenommen – und das deutsche Lied: Brahms, Schubert und Schumann. Am 22. Mai gab ich einen ‘deutschen’ Liederabend in Paris.”

Könnte sich der Sänger für die Zukunft auch einen Lehrer Paata Burchuladze vorstellen?

“lch habe, zum Beispiel in Spanien, schon einige Meisterklassen gegeben; aber mit dem Unterrichten ist das so eine Sache! Wenn man es wirklich ernsthaft betreiben will, muß man Zeit für seine Schüler haben. In einer Woche ist so etwas nicht getan: Man kann ihnen gerade demonstrieren, was sie tun sollen, und verläßt sie auch schon. Das ist weder seriös noch fair. Sicher, man kann dabei Tips und Anregungen geben, aber um richtig zu unterrichten, muß man Zeit haben. Man übernimmt schließlich Verantwortung für seine Schüler, für ihr Leben und ihre Zukunft. Es gibt derzeit viele gute und interessante Stimmen; aber vielen fehlt die Geduld, ernsthaft zu studieren. Sofort Karriere zu machen, das geht nun eben nicht. Sechs Jahre in Georgien, und später auch in Mailand, hatte ich jeden Tag Unterricht. Man hat sich wirklich ernsthaft um uns gekümmert.”

In einer Zeit, in der Reisen zu den gewöhnlichsten Alltäglichkeiten geworden ist, in der viele Grenzen nur noch auf der Landkarte existieren, ist sicher auch der Konkurrenzkompf viel größer geworden …

“… es gibt so viele Theater, da braucht man sich darüber nicht den Kopf zu zerbrechen. Das wichtigste ist, daß man in Form ist, daß die Stimme in Ordnung ist. Gerade mit vielen Kollegen aus dem BaßFach habe ich guten Kontakt. Kurt Rydl ist ein wunderbarer Kollege oder Nicolai Ghiaurov: Mit ihm bin ich sehr befreundet, er ist noch immer großartig, eine wirkliche Persönlichkeit, und welch eine Stimme! Samuel Ramey ist ein guter Freund, ein großartiger Sänger und ein sehr sympathischer Mensch; ich bewundere ihn wirklich. Oder Kurt Moll, man muß ihn einfach mögen!`

Als einer der führenden Bassisten der Opernwelt hat Paata Burchuladze natürlich auch an einer ganzen Reihe von Operngesamtaufnahmen mitgewirkt, unter Dirigenten
ten wie Giuseppe Sinopoli (Padre Guardiano in “La forzo del destino”) Georg Solti (Fiesco in “Simon Boccenegra”) Riccardo Muti (Sparafucile in “Rigoletto”), Lorin Maazel (Ramfis in “Aida” oder James Levine (Gremin in `Eugen Onegin”) Welchen Stellenwert haben heute CD-Einspielungen? 

“Die Arbeit im Studio ist natürlich etwas ganz anderes als ein Live-Auftritt. Im Studio kann man einfach alles machen, kleine Stimmen klingen plötzlich voluminös, wie es nie auf der Bühne möglich wäre; dadurch sind diese Produkte nicht immer seriös. Notürlich sollten Stimmen wie die von Pavarotti oder Domingo dokumentiert sein, damit auch nachfolgende Generationen sich an diese großen Künstler erinnern können, aber die Aufnahme kann nicht das Live-Erlebnis ersetzen. Leute, die Oper lieben, müssen in die Theater kommen. Dort findet das wahre Opernleben statt. Ein Video, direkt in einer Vorstellung aufgenommen, kann das eigentliche Operngeschehen viel wahrhaftiger festhalten. ClDs dagegen hoben mehr einen historisch dokumentarischen Wert.”

Eine derart ruhmreiche Karriere und so viele glanzvolle Erfolge, bleiben da überhaupt besondere Ereignisse in Erinnerung?

“Große Ereignisse – die Zusammentreffen mit Luciano Pavorotti und Herbert von Karajan. Sie haben mir so unglaublich viel geholfen. Denken Sie nur daran, was Dirigenten oft an Worten verlieren, um ihre Absichten zu erklären! Von Karajan dagegen sagte kaum etwas, er zeigte alles mit seinen Händen; und man tat, was immer
er wollte. Er war großartig, vielleicht überhaupt der größte Dirigent aller Zeiten. In seinem ‘Don Giovanni’ sang ich den Commendatore und unter seiner Leitung das Mozort-Requiem, das Bruckner-‘Te Deum’ und Verdis ‘Messa da Requiem’ – sein letztes Konzert überhaupt. Auch sonst habe ich mit den größten Dirigenten unserer Zeit zusammengearbeitet, nur mit einem nicht, mit Carlos Kleiber. Es ergab sich leider nie die Gelegenheit, dabei bewundere ich ihn und seine Arbeit über alles. Ich würde mir sehr wünschen, unter seiner Leitung singen zu dürfen.”

Einer der wenigen bisher unerfüllten Wünsche in der Laufbahn von Paata Burchuladze …

Michael Blees im Gespräch mit Paata Burchuladze/ Orpheus 11/1995