DAS OPERNGLAS 02/1999

Paata Burchuladze, der Baß aus Georgien, ist einer der begehrtesten Sänger der Opernszene. Er singt an allen bedeutenden Opernhäusern der Welt, sei es in Europa, Nord- oder Südamerika, in Japan und natürlich in seinem Heimatland. Selbst an seinem Geburtstag, dem 12. Februar 1999, fand der Vielbeschäftigte die Ruhe, zusammen mit unserem Mitarbeiter Fred Plotkin über sein Leben, seinen Beruf und die vielen Anforderungen zu reflektieren, die der moderne Opernbetrieb an einen Sänger stellt. 

Herr Burchuladze, wir sitzen hier im Pressebüro der Metropolitan Opera in New York, es ist Ihr Geburtstag und Sie haben gerade eine Probe zur ‘Chowanschtschina’ beendet… 

Ja, ich werde hier den lwan Chowanski singen, eine Rolle, die ich auch schon in Hamburg und Mailand gesungen habe. An der Scala hatte ich – ebenso wie jetzt hier – Valery Gergiev als Dirigenten; Hamburg hatte eine exzellente Regie von Harry Kupfer.

Diese Oper ist ja doch für viele immer noch relativ unbekannt, obwohl es immer wieder bedeutende Produktionen an großen Opernhäusern gibt. Wie würden Sie versuchen, den Einstieg zu erleichtern, das Werk besser zu verstehen und in seine “Seele’ eindringen zu können? 

Der Schlüssel zu dieser Oper ist, genau wie in “Boris Godunow” und vielen anderen russischen Opern, der politische Hintergrund. Und immer sind es beide Seiten, die positiven und die negativen, die Unterdrückten und die Unterdrücker, die Teil des Ganzen sind. Ich habe ebenfalls schon beides gespielt: die Guten wie die Schlechten – und beides ist wundervoll! In dieser Produktion singe ich den Chowanski, aber in Wien habe ich Dossifei gemacht. Es sind beides Baßpartien, unterscheiden sich aber grundlegend. Während die eine Partie sehr kantabel ist, fast belkantest ist die andere quasi die Essenz der russischen Seele.

Wenn Sie von einer Rolle zur nächsten wechseln, in diesem Fall also von Dossifei zu Chowonski: Was müssen Sie beachten, um Ihre Stimme auf diesen Wechsel einzustellen?

Eigentlich nichts. Man muß natürlich gut ausgebildet sein, und wenn man am Morgen aufwacht, sollte einem schon im Bett bewußt sein, welche Partie man singen wird; und das muß man den ganzen Tag über im Kopf behalten. Es ist musikalisch sehr wichtig, daß man die verschiedenen Partien im Kopf nicht durcheinanderwirft. 

Sie singen hier aber, während Sie gerade diese russische Oper proben, auch den Ramfis in ‘Aida’. Wie holten Sie denn diese beiden so unterschiedliche Rollen in dieser Zeit auseinander?

An Aufführungstagen habe ich keine Proben, und so bin ich an diesen Tagen Ramfis. Ich habe das Italienische im Kopf und beschäftige mich gedanklich mit Verdi. Und ich singe natürlich in italienischer Phrasierung, die sich vollkommen von der des russischen Repertoires unterscheidet. Dort ist das Wort und dessen Bedeutung wichtiger als die Phrasierung.

Sie als russischer Sänger…

Entschuldigen Sie wenn ich Sie gleich unterbreche: Aber ich möchte Ihnen gleich einschränkend erwidern, daß Russisch nicht meine Muttersprache ist – ich stamme aus Georgien. Die russische Sprache beherrsche ich deswegen so gut, da ich in meiner Kindheit auch mit dieser Sprache aufgewachsen bin. So singe ich russische, aber eben auch italienische Opern mit großer Freude. Die deutschen Werke hingegen muß ich mir doppelt erarbeiten, da ich sicherstellen muß, die Wörter sowohl in der Aussprache als auch in ihrer Bedeutung korrekt zu erfassen. 

Was bedeutet es für Sie, ein georgischer Sänger zu sein?

Das ist schwer zu sagen. Es gibt nicht viele georgische Bässe – und auch ich werde ja vorwiegend als russischer Boß bezeichnet. In Georgien hat man eher viele Soprone und Tenöre. Das liegt wohl daran, daß wir auch ein umfangreicheres Repertoire für diese Stimmlagen hoben.

Gibt es eine aktive Opernszene in Georgien?

Die war lange Zeit nicht sonderlich aktiv, da das Land eine Menge Probleme hatte. Nun geht es aber durch unseren Präsidenten Edvord Shevardnaze aufwärts. Letztes Jahr hatten wir sogar ein Festival, genannt Bravo, von dem sogar auf CNN berichtet wurde! Ich war sehr stolz, dieses Festival mit meiner Stiftung organisieren zu dürfen. 

Sie leben, wie so viele andere Sänger auch, in Wien, haben dort ein Apartment. Aber in den seltensten Fällen treten diese vielen Sänger auch gemeinsam in der Staatsoper auf, man reist umher, je nachdem, auf welcher Seite des Erdballs gerade ein Engagement angeboten wird. Gibt es überhaupt so etwas wie eine Gemeinschaft unter den Opernsängern?

Nein. Aber Wien hat natürlich etwas Besonderes. Hier klingt die Musik praktisch in den Straßen, sie liegt in der Luft. Es ist für uns Sänger deshalb so wunderschön, dort zu leben, weil die ganze Stadt ihre Musik lebt – und weil jeder die Sänger liebt.

Und man sieht sich tatsächlich untereinander nicht privat, pflegt Kontakte?

Wir sehen uns eigentlich nur auf der Bühne. Natürlich , wenn Sie mit jemandem befreundet sind, könnten Sie ihn anrufen – aber es gibt einfach nicht genügend Zeit, wirklich.

Wieviel muten Sie sich denn zu, wie viele Auftritte planen Sie im Jahr?

Das ist unterschiedlich. Aber ich befürchte, daß ich derzeit zu viel mache. Ich habe ungefähr 60 bis 70 Auftritte im Jahr, und davon sind mindestens 50 Opernauftritte.

Haben Sie sich in der letzten Zeit auf ein bestimmtes Repertoire konzentriert, das sich von dem der vorangegangenen Jahre unterscheidet?

Nein. Ich habe ein festes Repertoire, das natürlich in erster Linie aus russischen und italienischen Partien besteht. Wenn ich mir bald etwas Neues vornehmen werde, dann wohl am ehesten etwas von Wagner, Aber ich spreche zwar Deutsch und verstehe es sehr gut, doch ist es damit ja nicht getan. 

Was vermissen Sie?

Ich habe noch nicht das wirkliche Gespür für diese Sprache. Ich kenne die Wörter, mein Akzent ist ganz gut, aber ich habe manchmal das Gefühl, die tiefere Bedeutung eines Wortes nicht verstanden zu hoben, Das ist oft eine sehr feine Unterscheidung, denn ein Wort hat ja nicht nur eine “buchstäbliche” Bedeutung. Die eigentliche Bedeutung kommt oft erst durch die Betonung und durch den Klang, den ihm die Stimme gibt.

Ich bin gefragt worden, einige Baßpartien im neuen Bayreuther “Ring” (2000) zu machen, aber ich habe mich noch nicht bereit gefühlt.

Welche Wagnerpartien werden Sie denn als erste in Angriff nehmen wollen?

Eigentlich möchte ich darüber noch gar nicht so genau nachdenken … Bisher bin ich cm meisten für Hagen angefragt worden.

Und weiche Partien von Verdi stehen Ihnen derzeit besonders nahe?

Besonders Filippo (“Don Carlo) Zaccaria (“Nabucco”) und Attila liegen mir cm Herzen. Ich habe die meisten der großen Baßpartien Verdis gesungen, und die einzige Partie, die ich mir im Moment vorstellen könnte hinzuzufügen, ist der Falstaff. Aber das scheint eine reine Baritonpartie zu sein. Mal sehen, vielleicht eines Tages…

Ich kann mich nicht erinnern, mit einem russischen Sänger über Komödien in der russischen Oper diskutiert zu haben.
Komödien ?!?

Ich kenne zumindest einige…

Die sind auch der Grund, worum ich derzeit überlege den Falstaff zu singen. Ich habe gerade in London Rimsky-Korsokows “Der goldene Hahn gemocht, und das hat sehr viel Spaß gemocht. Und daher denke ich jetzt eben auch ernsthaft über Falstaff noch.

Was ist Ihrer Meinung noch die besondere Anforderung an den Darsteller, um komisch zu sein?

Wie in jeder Komödie kommt es darauf an, ernsthaft und natürlich zu sein. In England hat das Publikum bei dieser Produktion sehr viel gelocht. Die Engländer haben generell einen großen Humor, und 5o war es ein Vergnügen, für sie zu spielen. 

Das Publikum in Rußland ist mehr als in anderen Ländern, vielleicht mit Ausnahme von Deutschland, sehr bewandert in der Literatur. So sind die Zuschauer bei einer Oper, die auf einem literarischen Stoff basiert, viel vertrauter mit dem Werk, als es beispielsweise die Amerikaner oder Italiener sind. Bedeutet das für den Sänger nicht, daß man mit einer ganz anderen Erwartungshaltung rechnen muß?

Natürlich. Das betrifft aber nicht nur Rußland und Deutschland. Wenn du an der Scala Verdi singen sollst, zitterst du vor Aufregung. Das Publikum dort kennt alles, hat jeden Sänger zuvor schon einmal in deiner Rolle gehört und glaubt zu wissen, wie diese Partie zu singen ist. Manchmal scheint es da schon angenehmer zu sein, dem Feuerkommondo einer Exekution ins Auge zu blicken…

Andererseits, wenn es gelungen ist, kann man sehr stolz sein: Ich hatte zum Beispiel großen Respekt vor meinem Auftritt als Mefistofele in Gounod ‘Faust’ ausgerechnet in Frankreich, in Paris, und ich beherrschte nicht wirklich die französische Sprache! Ich glaube, niemand wogt.sich an eine solch lange Partie, ohne sich nicht perfekt im Französischen artikulieren zu können. Dennoch ging alles gut, und darauf bin ich sehr stolz.

Sie könnten eigentlich auch Mozart singen. Hoben Sie einige Rollen im Repertoire?

Ich habe den Commendatore unter Karajan gemacht (wovon es auch eine Aufnahme gibt), vor vielen Jahren habe ich den Leporello gesungen, und auch den Sarastro habe ich im Repertoire. Vielleicht könnte ich auch den Don Giovanni singen. Die Baßpartie in der “Entführung” ist mir allerdings zu kompliziert, da hier die Worte besonders deutlich artikuliert werden müssen.

Wie ich weiß, singen Sie sehr gern beim Sommerfestival in Verena. Ich habe schon einigen Sängern diese Frage gestellt, aber niemand konnte sie mir bisher beantworten: Wie trogen die Stimmen in diesem riesigen Rund?

Wundervoll!

Aber weiß man, auf welche Weise?

Nein. Ich glaube nicht, daß man bereits vor zweitausend Jahren Akustik studiert hat. Aber die okustischen Verhältnisse in der Arena von Verona sind einmalig. Heutzutage baut man moderne Opernhäuser, in denen teilweise die Akustik miserabel ist. In der Arena singt es sich viel leichter als in manchem kleinen Opernhaus.

Und das, obwohl es open air ist?

ja, aber ich kann es Ihnen leider auch nicht erklären.

In Verona gibt es ja eine ganz besondere Stimmung. Wie erleben Sie es, wenn es dunkel wird und 20.000 Zuschauer Kerzen entzünden?

Es ist unbeschreiblich! Als ich den Zaccaria dort sang und Nabucco im zweiten Akt seinen Auftritt zum Gebet hatte, hatte ich Gelegenheit aufzublicken. Das sind Momente, die man nicht vergißt. Auch das Gefühl, daß in diesem Moment 15.000 oder 20.000 Menschen dir zuschauen – das ist unglaublich! Ich muß Ihnen sogen, daß es mir wesentlich mehr Vergnügen bereitet, in Verona auf der Bühne zu sein als in den Zuschauerrängen.

Ist es denn in anderen Häusern besser, im Publikum zu sein?

Das ist es leider manchmal, ja. In anderen Häusern arbeitet man, es ist Streß. In Verona ist es Vergnügen.

Glauben Sie, daß die Italiener die italienische Oper besser kennen, sogen wir als die Deutschen?

Vielleicht kennen sie sie nicht besser, aber sie sind stolz darauf. Und daher reagieren sie in ihrer Art. In Amerika zum Beispiel wird dir verziehen, wenn du nicht zu schlecht warst In Deutschland kannst du Glück oder Pech haben, aber in Italien wird man dir nie verzeihen! Man wird noch Hause gehen und jedem erzählen, wie schlecht du warst.

Hast du die Leute aber mit einer guten Leistung überzeugt, wird man dich in jedem Land wirklich unterstützen.

Nun möchte ich Sie an Ihrem Geburtstag nicht länger aufhalten.

Wissen Sie, daß mich an meinem Geburtstag vor einem Jahr die Russisch Orthodoxen zum Fürsten von Rußland gemocht hoben? Es gibt ein sehr schönes Photo davon …

Und wie werden Sie den heutigen Tag gebührend feiern?

Ich werde mir ein Konzert mit Volery Gergiev und dem New York Philharmonic anhören. Das ist doch ein schöner Geburtstag, nicht wahr?

Interview Opernglas 02/1999